Silvia Betz, eines der Gründungsmitglieder des Tafel-Vereins, leitete den ersten Tafelladen 1999, damals in der Ekkehardstraße.

Die Anfänge der Singener Tafel waren nicht einfach. Udo Engelhardt, bis heute Vorsitzender des Vereins, berichtet in unserer Serie „Gedächtnis der Region“, wie es zur Gründung kam. Heute gibt es fünf Tafeln im Kreis.

Wer sieht, was die Tafel heute ist, kann kaum glauben, wie alles zwischen 1997 und 1999 in Singen begonnen hat. Aus einer Einrichtung in Singen sind fünf im ganzen Landkreis geworden. Über ein großes Lager in Worblingen werden mittlerweile Waren für 25 weitere Tafeln verteilt.

Großen Anteil an dieser Entwicklung hat Udo Engelhardt. Er ist von Anfang an und bis heute Vorsitzender des Tafelvereins. Engelhardt kam 1996 zur Arbeiterwohlfahrt (Awo), um die Arbeitslosenhilfe aufzubauen – zu einem Zeitpunkt, als die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland auf einem Höchststand war. 1990 lag sie bei 1,9 Millionen, bis 1997 stieg sie auf 4,4 Millionen Menschen.

Damals habe es eine Arbeitslosen-Selbsthilfegruppe gegeben, die gegen alles war und nicht mit anderen Institutionen konstruktiv zusammenarbeitete, erzählt Engelhardt. „Die Stadt ist an die Awo herangetreten, um eine Betreuung gemeinsam am Runden Tisch zu entwickeln.“  Am Tisch saßen dann auch Vertreter der großen Betriebe wie Alusingen und Maggi, aber ebenso Mittelständler. „Es war eine Schnittmenge der Institutionen, Gewerkschaften und Kirchen“, so Engelhardt. Unter diesen Bedingungen war die Stadt bereit, ein Arbeitslosenprojekt mitzufinanzieren. Engelhardt baute die Bereiche Einzelfallberatung, Freitzeitgestaltung und Beschäftigung, ähnlich den Ein-Euro-Jobs, für Arbeitslose auf.

„1998 konnten wir die vier Gewächshäuser beim Friedhof übernehmen und betrieben eine komplette Gärtnerei, die auch bestimmte Aufträge annehmen durfte“, erinnert sich Engelhardt. Es sei das größte Projekt gewesen, bei dem um die 30 Leute beschäftigt waren. Dort entwickelten sich viele Aktivitäten, es gab Grünflächen, Blockhausbau und ein Second-Hand-Kaufhaus. Außerdem gab es ein Arbeitslosenfrühstück.  Ein Bericht in der Zeitung über eine Tafel in Stuttgart machte die Gruppe dann neugierig. „Das wollten wir uns genauer ansehen und sind nach Stuttgart gefahren“, berichtet Engelhardt.

Die Idee der Tafel, nicht mehr verkaufte Lebensmittel zu verwerten und an Bedürftige weiterzugeben, überzeugte. Doch die Awo lehnte es ab, eine Tafel zu betreiben. „Wenn ihr das als eigenständiger Verein macht, haben wir nichts dagegen“, habe es aus der Geschäftsführung geheißen. Gesagt, getan: 1997 war der Besuch in Stuttgart, im Januar 1999 wurde der Tafelverein gegründet, dessen Vorsitzender Engelhardt bis heute ist. Von Anfang an wollte der Verein auch einen Mittagstisch anbieten. Der war zu Beginn in kirchlichen Gemeindesälen angesiedelt und hat bis heute in Singen Bestand. In dieser Form gibt es ihn nur in wenigen Städten.

Der erste Tafelladen befand sich in der Ekkehardstraße. Die Kirchen hätten entscheidend zur Entstehung der Tafel beigetragen, sagt Engelhardt. „Überhaupt hat die Netzwerkarbeit einen großen Anteil daran, dass es die Tafel gibt.“ Diese Zusammenarbeit und der offene Austausch zwischen Verbänden, Stadt, Unternehmen, Gewerkschaften, Kirchen und Vereinen sei in Singen einzigartig. Die Tafel hat sich entwickelt. 2005 ergab sich die Möglichkeit, in die Räumlichkeiten des ehemaligen Cafés Avocado am Heinrich-Weber-Platz zu ziehen und damit Mittagstisch und Laden unter ein Dach zu bringen. „Die Tafel ist mit dieser Lage ein sichtbarer Teil der Stadt, Bedürftige werden nicht an den Rand gedrängt“, erklärt Engelhardt.

Sie bietet nach wie vor zehn Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose, die dort nicht nur Arbeit, sondern oft auch eine Heimat gefunden haben. Sie war und ist immer ein Ort der Begegnung: Unzählige Vereine, Betriebe und städtische Vertreter haben für die Tafel gekocht oder gespendet, Veranstaltungen fanden statt. Die Tafel ist aus Singen nicht mehr wegzudenken, und sie wird gebraucht: Die Zahl der Bedürftigen nimmt mit immer mehr Flüchtlingen und steigenden Energiekosten so stark zu, dass die Einrichtung den Ansturm momentan kaum noch bewältigen kann.

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