Udo Engelhardt geht in den Ruhestand

Südkurier Singen                       Fragen Susanne Gehrmann-Röhm

Sie gehen Ende Januar altershalber in den Ruhestand. Seit vielen Jahren sind Sie in Singen „eine Institution“ in Sachen Armut, Arbeitslosigkeit und den damit verbundenen Themen. Was treibt Sie in den letzten Wochen des Berufslebens um?

Ganz zuerst Dankbarkeit. Dankbarkeit dafür, dass ich diesen Job so lange machen durfte. Für den neuen Lebensabschnitt wünsche ich mir vor allem Entschleunigung. Ich freue mich darauf, mehr Zeit für die Begegnung mit anderen Menschen zu haben. Weil viele Projekte bei der Arbeiterwohlfahrt zum Jahresbeginn starten, habe ich mich dazu entschieden, mit 65 bei der AWO aufzuhören. Ich bin sehr gespannt darauf, wie mir der Übergang in die dritte Lebensphase gelingen wird. In den letzten Wochen arbeite ich bereits meine Nachfolgerin ein.

Doch zunächst mal zu Ihrem Berufsweg: Wie sind Sie zu dem Job bei der Arbeiterwohlfahrt gekommen?

Nach meiner Tätigkeit im Zentrum für Psychiatrie Anfang der 1990er-Jahre und einer Zeit als Hausmann hatte ich mich für eine Stelle im Sozialpsychiatrischen Dienst bei der AWO beworben. Diese Stelle bekam ich zwar nicht, doch der damalige Geschäftsführer Werner Neidig kam dann aufgrund meiner beruflichen Erfahrungen auf mich zu, als die AWO mit dem Arbeitslosenprojekt etwas ganz Neues beginnen wollte. Das war 1996.

 

Im Laufe der Zeit kamen immer mehr Projekte bei der AWO dazu und Sie haben sich zusätzlich immer stärker auch ehrenamtlich engagiert. Wie schafft man das alles? Hat Ihr Tag mehr als 24 Stunden?

Nein, das nicht. Dieses Engagement kann man nur machen, wenn man Freude und Spaß an der Arbeit hat. Als die Kinder größer wurden, kamen Ehrenämter in der Singener Tafel oder dem Verein Kinderchancen hinzu. Ich bin dann immer mehr in diese Aufgaben eingetaucht. Die Arbeit und das Umfeld haben einfach gepasst. Sicherlich konnte ich auch so viel geben, weil ich auch sehr viel zurückbekommen habe.

Sie haben durch Ihre Arbeit einen sehr guten Einblick in die Nöte der Menschen, die wenig Geld haben. Was müsste die Politik anderes machen, damit es ein wenig mehr Gerechtigkeit gäbe?

Der Regelsatz für die Grundsicherung ist auf jeden Fall zu niedrig. Hartz-IV ist vor allem darauf ausgerichtet, die Menschen in Arbeit zu bringen, aber die Betroffenen haben noch ganz andere Fragen und Probleme, wie Wohnraum, die Zukunft der Kinder oder die Angst zu versagen. Über Hartz-IV ist ein riesiger Apparat entstanden, der aber zunehmend unpersönlich geworden ist. Die Menschen mit wenig Geld wünschen sich Ansprechpartner, denen sie vertrauen können. Das Jobcenter ist leider auch immer schlechter erreichbar und verwaltet die Menschen mehr, anstatt gegenseitiges Vertrauen aufzubauen. Das liegt nicht an den Mitarbeitern, das Problem ist der lange Arm der Agentur für Arbeit, die fast alles bis ins kleinste Detail vorgibt. Zentral wichtig sind die Wege zur Teilhabe, bei Bildung, Kultur, Sport und Gemeinschaft, besonders für die Kinder, die in Gefahr sind, ausgegrenzt aufzuwachsen.

Vor der letzten Landtagswahl haben sie zunächst für die Grünen für den Wahlkreis Singen kandidiert, mussten dann aber aus gesundheitlichen Gründen kürzer treten und Dorothea Wehinger trat an Ihre Stelle. Wie sehen Sie es heute, dass Sie nicht in die Landespolitik gehen konnten? Ist da noch ein bisschen Wehmut dabei?

Nein, da ist keine Wehmut. Dorothea Wehinger macht ihren Job als Landtagsabgeordnete sehr gut und gern. Über die gemeinsame Arbeit Kreistag und mein soziales Engagement auf Landesebene gibt es auch viele Schnittstellen, bei denen ich mit Dorothea sehr gut zusammenarbeiten kann.

Ab Februar werden Sie offiziell mehr Zeit haben. Was wird sich ändern? Haben Sie Pläne für private Projekte, die bisher zu kurz gekommen sind?

Mehr Zeit zu haben für Besuche bei den Kindern, Verwandten und Freunden. Mehr Zeit für Haus- und Gartenarbeit und dann möchte ich mich auch wieder künstlerisch betätigen. Mehr Sport treiben steht auch noch auf meiner Wunschliste.

Ihr ehrenamtliches Engagement in Vereinen wie Kinderchancen oder bei der Singener Tafel steht ja in unmittelbarem Zusammenhang mit ihrer Arbeit. Werden Sie dort weiter aktiv sein?

Selbstverständlich werde ich meine Ehrenämter weiter machen. Diese Arbeit bedeutet mir unheimlich viel. Passend zum Renteneinstieg bekomme ich über der Tafel ein neues Büro. Darauf freue ich mich und will in Zukunft etwa drei Tage in der Woche für die Tafel und Kinderchancen arbeiten.

Was geben Sie Ihrer Nachfolgerin mit auf den Weg?

Sie sollte sich viel Zeit dafür nehmen in die Aufgaben rein zu wachsen und ihren eigenen Weg suchen. Bei der AWO gibt es immer noch relativ viel Freiraum und man kann auf tolle Mitarbeiter und gegenseitiges Vertrauen bauen. Sachzwänge müssen zwar erfüllt werden, aber sie dürfen den Job nicht dominieren. Seit Anfang Januar arbeite ich Bettina Popanda bereits ein.

Fragen: Susanne Gehrmann-Röhm

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