Unser Mittagstisch ist ein sozialer Treffpunkt

Südkurier Singen

Eva Pal und Christine Ghazouani vom Singener Tafelladen:

"Unser Mittagstisch ist ein sozialer Treffpunkt"

Probe aufs Exempel: Eva Pal (Mitte) und Christine Ghazouani servieren SÜDKURIER-Redakteur Torsten Lucht ein Mittagstisch-Menu. Fazit: Hut ab vor dem sozialen Engagement und der Improvisation, bei der für 1,80 Euro ein komplettes Essen mit Suppe, Salat, Hauptgericht, Dessert sowie Getränk und Kaffee entsteht. Bild: Sabine Tesche

 

Frau Pal, Sie bilden als Koordinatorin in der Küche das kulinarische Zentrum des Mittagstisches der Singener Tafel. Was ist das Besondere? Eva Pal: Zunächst einmal ist das die Herkunft unserer Küchencrew. Dalal kommt aus Ägypten, Fatma aus Algerien und ich aus Rumänien. Wir drei sind seit vielen Jahren das Stammpersonal in der Küche und gleichzeitig auch gute Freundinnen. Besonders sind auch unsere Gastköche, die kaufen das Essen für einen Tag, kochen dann bei uns in der Tafel und servieren unseren Gästen ein leckeres Menü. Manche Gastköche wie die Kiwanis oder die Friedenskirche kochen mehrmals im Jahr für uns. Und dann natürlich die Gäste, für viele ist die Tafel ein Ersatz für die fehlende Familie. Menschen mit wenig Geld können nur ganz selten Essen gehen.

Und wie sieht das konkret aus? Sie können beim Kochen ja nicht aus dem Vollen schöpfen. Eva Pal: Das stimmt, es ist ein ständiges Improvisieren. In aller Regel treffen wir uns um 8 Uhr zum Frühstück und da wird dann besprochen, was wir zum Mittag anbieten können. Meistens können wir dabei auf Lebensmittelspenden zurückgreifen. Das verhindert zum einem, dass gute Lebensmittel

weggeworfen werden, und spart uns zweitens viel Geld. Wichtig ist, dass wir für 1,80 Euro ein komplettes Menü, häufig mit Salat, Suppe, Hauptgericht, Nachtisch und Getränk anbieten können. Und einmal pro Woche legen wir auf einen vegetarischen Mittagstisch wert. Christine Ghazouani: Unsere Gäste kommen nicht nur wegen des günstigen Essens. Viele kommen auch her, weil sie sonst niemanden zum Reden haben. Unser Mittagstisch ist ein sozialer Treffpunkt, wo die Menschen ins Gespräch kommen und wertgeschätzt werden. Man kennt sich und da wird zum Beispiel nachgefragt, was der Arztbesuch gebracht hat. Oft sind das

nur Kleinigkeiten, aber die sind sehr wichtig. Eva Pal: Es tut unseren Gästen beispielsweise sehr gut, dass der Tisch schön

eingedeckt ist, jeder eine Serviette bekommt und das Essen am Tisch serviert  wird. Das erzeugt ein Gefühl von Geborgenheit. Wir geben beim Mittagstisch einfach immer eine Portion Herz dazu. Den Mittagstisch gibt es ja schon länger. Was hat sich im Laufe der Jahre geändert? Christine Ghazouani: Unser Mittagstisch, wir sagen auch gerne Tafelrestaurant, ist seit 2005 am Heinrich-Weber-Platz. Wir haben viele Stammgäste. Die meisten sind älter und teilweise auch gesundheitlich stark angeschlagen. Wenn man die Entwicklung über die Jahre betrachtet, dann ist die Notwendigkeit des Angebots allerdings gewachsen. Es gibt Menschen, vor allem ältere Frauen, die durch Altersarmut auf den Mittagstisch angewiesen sind. Andere sind psychisch stark belastet und wieder andere haben keine Wohnung. Der Altersschnitt unserer Gäste liegt deutlich über 60 Jahre. Da spiegelt sich auch die Entwicklung

der Altersarmut. Kommen auch Flüchtlinge? Christine Ghazouani: Ja, aber eher selten und die Zahl nimmt ab. Wie viele Gäste bewirten Sie pro Tag? Eva Pal: Im Schnitt sind das 40 bis 50. Entspricht das dem Bedarf? Christine Ghazouani: Nein. Was wir feststellen ist beispielsweise die wachsende Zahl von Obdachlosen oder auch Durchreisende – es gibt unter ihnen übrigens

auch immer mehr Frauen. Manche sitzen häufig länger direkt vor der Tür, man kennt sich mit der Zeit und wir bringen ihnen schon mal einen Kaffee oder ein belegtes Brötchen raus. Dass sie nicht weiter auffallen, hängt damit zusammen, dass man den Leuten die Obdachlosigkeit nicht ansieht. Bedeutet das, dass der Mittagstisch nicht das untere Ende in der ökonomische Hierarchie ist?

Christine Ghazouani: Teilweise ja. Es kommen nur wenige junge Menschen, die halb oder ganz auf der Straße leben. Und dann gibt es noch viele Menschen, die kein Geld für den Bus haben und die den Weg zur Tafel nicht mehr laufen können. Die meisten Gäste leben aber in relativ gesicherten Verhältnissen, sie haben ein geringes Einkommen und kommen damit über den Monat aus. Eva Pal: Unser Mittagstisch ist für die meisten Gäste zum Alltag und Normalität geworden. Naja, ganz normal ist Armut ja nun nicht – oder sollte es zumindest nicht sein. Was hat für Sie der tägliche Umgang mit armen Menschen bisher gebracht? Christine Ghazouani: Das Erlebnis, dass Menschen am Rande der Gesellschaft meistens zusammen stehen. Das heißt nicht, dass es nicht auch zu Streitereien kommt. Es gibt auch Neid und Missgunst... Eva Pal: Oh ja. Viele beispielsweise haben ihren Stammplatz und auf den sollte man sich besser nicht setzen. Der wird regelrecht verteidigt. Unsere Aufgabe besteht dann oft im Schlichten von Streitereien oder im geduldigen Zuhören.

Christine Ghazouani: Und natürlich bekommen wir auch mit, wie die Menschen ihrer Lebenslage oft ohnmächtig gegenüberstehen und manchmal erlebt man den allmählichen Zerfall hautnah mit. Und die positiven Erfahrungen? Christine Ghazouani: Wenn’s drauf ankommt, dann helfen sich die Menschen. Wir erleben zum Beispiel, dass man sich Geld gibt. Wenn jemandem 20 Cent fehlen,

dann kommt ein anderer und sagt: „Hier komm’, ich leg’ das für Dich aus.“ Oder es wird eine Zigarette verschenkt und man hilft sich bei der Reparatur des Fahrrads. An solchen Dingen erkennt man, dass die Menschen solidarisch sind. Ökonomisch schwach heißt nicht automatisch auch sozial schwach. Wird am Mittagstisch über Politik und die Ursachen von Armut diskutiert? Christine Ghazouani: Klar, das ist ganz genau so wie in anderen Bevölkerungsschichten. Kennen Sie Beispiele für Auswege aus der Armut?

Christine Ghazouani: Die materielle Armut können unsere meist alten und kranken Menschen nur ganz selten überwinden. Aber über den Kontakt und die Begegnung entsteht für viele eine neue Lebensqualität. Die Dankbarkeit drückt sich dann zum Beispiel in der Bastelarbeit aus, die uns ein ehemaliger Mittagstisch-Gast vor Kurzem für die Dekoration zu Weihnachten geschenkt hat. Ich schätze allerdings, dass so etwa 90 Prozent dauerhaft auf den Mittagstisch angewiesen sein wird. Wie ist das mit Ihnen? Wie lange wollen Sie die Aufgabe noch machen? Christine Ghazouani: Von mir aus noch ganz lange. Die Arbeit in der Tafel ist für mich häufig stressig, aber noch viel häufiger bereichernd. In vielen Augen kann ich eine große Dankbarkeit erkennen. Eva Pal: Wenn ich meine jetzige Arbeit mit meiner früheren Tätigkeit als Küchenchefin vergleiche, dann bin ich jetzt einfach glücklich und zufrieden. Die Arbeit ist ganz gewiss nicht einfach – aber dieses Gefühl helfen zu können, tut mir unglaublich gut. Fragen: Torsten Lucht

Der Mittagstisch

Tafelläden, in denen Lebensmittel an Bedürftige zu verbilligten Preisen angeboten werden, gibt es deutschlandweit. Der Mittagstisch der Singener Tafel ist nach Angaben der Arbeiterwohlfahrt aber einmalig (zumindest landesweit). Obwohl es ein Netzwerk von Unterstützern gibt – zum Beispiel versorgt der Schlachthof Konstanz den Mittagstisch mit Fleischspenden – lässt sich das Angebot nur zwecks Querfinanzierung über den Tafelladen beziehungsweise Spenden finanzieren. Laut Christine Ghazouani beläuft sich der Betrag auf 25 000 Euro pro Jahr. Wer den Mittagstisch mit Geld-, Zeit- oder Sachspenden unterstützen möchte, wendet sich an die Singener Tafel am Heinrich-Weber- Platz 2, Telefon 077 31 / 183 310 oder . (tol)

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